Faktencheck & Video zur Broschüre „Mythos Israel 1984”
Habt ihr schon unser Video zur Broschüre „Mythos Israel 1984” gesehen? Der Flyer wurde dieses Jahr an Lehrer*innen und Schüler*innen in Berlin verteilt, ohne jedoch eine Qualitätssicherung zu durchlaufen. Wir schauen genauer hin:
https://www.instagram.com/stadtteilkomitee_neukoelln
Gleich zu Anfang der Broschüre wird behauptet, dass „Juden und Muslime nicht friedlich zusammenleben können“ (S. 16 -17). Diese Aussage ist nicht nur historisch inakkurat (siehe Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 336, 1/2018), sondern vermittelt auch ein gefährliches Bild, indem behauptet wird, dass Frieden scheinbar gar nicht stattfinden kann. Solche Statements sind vor allem für junge Menschen – genau die, die mit dieser Broschüre erreicht werden sollen-, schädlich.
Wir sehen, dass die Broschüre rassistisch und kolonialistisch ist, an der Art und Weise, wie über Palästina gesprochen wird. Die Region sei vorher von „Unterentwicklung und Krankheiten“ geprägt und die Bevölkerung hätte die Vorzüge der „Zivilisation“ der jüdischen Einwanderung zu schätzen gewusst. (S. 20) Das ist eines der klassischen Argumente, mit denen Kolonialismus als legitim und durchaus positiv erscheinen soll.
In eine ähnliche Richtung geht die Darstellung des Islam als gewalttätige Religion (S. 18 – 19). Das ist selbstverständlich grundlegend falsch und trägt weiter zur gesellschaftlichen Spaltung bei. Es ist zudem ein Zeichen, dass diese Broschüre im Kontext eines rechten Diskurses, der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte als gefährlich brandmarken möchte, entstanden ist. Nicht zufällig wurde diese Broschüre zuerst an Neuköllner Schulen weitergeleitet. Das kann als bewusste Provokation der hier lebenden Menschen verstanden werden.
In der Broschüre wird außerdem behauptet, dass ein palästinensisches Nationalbewusstsein erst in den 1960ern quasi als Reaktion auf die Gründung des Staates Israel entstanden sei. In der Forschung werden sachlicher die Positionen vertreten, dass
- es zu Beginn der britischen Mandatszeit (ab etwa 1921) als Reaktion auf die wachsende jüdische Einwanderung und dem Verlust an Land von palästinensischen Bauern an zionistische Organisationen entstanden sei.
- es bereits in der Spätphase des Untergangs des Osmanischen Reichs zahlreiche arabische Nationalismen gegeben habe und eben auch ein palästinensischer, der sich durch Zeitschriften (wie Falesteen) und Organisationen bezeugen lässt.
- einzelne vertreten sogar die These, dass ein palästinensisches Nationalbewusstsein mit dem jüdischen vergleichbar sei und sogar auf die Nabatäer in den ersten Jahrhunderten n. Chr. zurückzuführen sei.
Hier spricht die Broschüre konsequent von „Arabern” und nicht von palästinensischen Menschen (so bspw. auf S. 9, S. 15, S. 16 usw.). Dadurch wird suggeriert, dass eine palästinensische Nation nicht existiere und folglich auch kein Anspruch auf einen Staat bestehe. Zudem ist es pauschalisierend lediglich von „Arabern” zu sprechen und nicht die Vielfalt an Kulturen und Sprachen im Nahen Osten zu berücksichtigen.
Gerade aufgrund der zunehmenden Konflikte weltweit ist es wichtig, klar zu machen, dass Krieg und Vertreibung immer gewaltsam sind. Der Kommentar, dass „Vertreibung nichts Ungewöhnliches“ (Seite 44) sei, stellt eine Normalisierung von dem enormen Leid dar, das Menschen in Krisen- und Konfliktsituationen erleben. So hat es im Zuge des Krieges von 1948/1949 systematische Vertreibungen und Massaker durch die israelische Armee bzw. die Haganah und ihren verbündeten Gruppen gegeben. (Zeitschrift APuZ 18/19 2023 „ISRAEL“ der Bundeszentrale für politische Bildung S. 46)
Große Teile des Textes der Broschüre werden nicht belegt und sind nicht historisch fundiert. Wenn es lediglich ein Vortrag oder eine Kolumne in einer Zeitung wäre könnte man von den persönlichen Perspektiven der Autor*innen sprechen. Da es jedoch eine Empfehlung an Lehrkräfte ist, die an Neuköllner Oberschulen tätig sind, kann man hier von gezielter Desinformation zulasten der Qualität der Bildung insgesamt und einer unabhängigen und ausgewogenen Erzählweise des Nahostkonflikts im Besonderen, sprechen.
Wie können wir also verhindern, dass solches Material an Schulen genutzt wird?
- Meldet euch bei euren Abgeordneten und macht ihnen klar, dass eine solche Art von Hetze nicht mit euch vereinbar ist. Wenn ihr in Berlin seid, könnt ihr hier nachschlagen, wer das für euren Wohnort ist und sie dann telefonisch/per Mail erreichen:
https://www.parlament-berlin.de/das-parlament/abgeordnete/suche-nach-wahlkreisen
- Sprecht mit den Kindern in eurem Umfeld und euren Kolleg*innen über das Thema und informiert euch weiter über diese Website oder vertrauenswürdige Quellen.
- Unterstützt die Arbeit von Organisationen, die sich lokal und über die Nachbarschaftsgrenzen hinaus für Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen.
Denn im Austausch mit anderen zu stehen, auch wenn man sich nicht immer einig ist, macht unser Zusammenleben in einer solidarischen Gesellschaft aus. Gemeinsam wollen wir uns für Frieden einsetzen und gegen alle Kriege stellen – hier in Berlin und überall auf der Welt!
Palästina-Cafe in der Roten Lilly, November 2024