„Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Papieren.“
Aus der Proletin #5: Interview mit Sophia Köbele von der Berliner Krankenhausbewegung.
Die Kinderkrankenschwester Sophia Köbele aus dem Sana Klinikum Lichtenberg bereitet sich mit ihren Kolleg:innen auf intensive Auseinandersetzungen mit ihrem Arbeitgeber vor. Die Beschäftigten wollen einen Entlastungstarifvertrag, wie er bereits an anderen Berliner Kliniken erkämpft wurde.
Kannst du zu Beginn einen Überblick über die aktuelle Situation im Sana geben?
Die Arbeitskolleg:innen sind stark belastet. Jeder ist mit unglaublich viel Arbeit konfrontiert und überall fehlt Personal. Ich denke, dass in der Corona Zeit noch sehr viel mehr Personal im Pflegebereich wirklich weg- und zusammengebrochen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es sind viele Kolleg:innen aus dem Beruf gegangen. Das ist völlig normal und verständlich. Wir müssen uns alle irgendwann die Frage stellen: Kann ich das noch vor mir verantworten, Arbeit zu leisten, die mit guter Patient:innenversorgung nichts mehr zu tun hat?
„Das große Ziel ist, mehr Personal zu bekommen, damit man seinen Beruf wieder so ausüben kann, wie man es gelernt hat.“
Was sind denn eure aktuellen Forderungen?
Wir möchten einen Entlastungstarifvertrag und haben die Geschäftsführung aufgefordert mit uns in Verhandlungen zu treten. Dafür haben wir uns in allen Teams mit der Frage beschäftigt, was wir eigentlich konkret brauchen. Bei mir im Team fordern wir beispielsweise eine gute Patienten-Personal-Regelung. Diese würde regeln, wie viele kranke Früh- und Neugeborene eine Fachschwester tatsächlich betreuen kann. Dazu haben wir uns Schlüssel überlegt der bestimmt, wie die Besetzung in den einzelnen Schichten aussehen muss und wofür es zusätzliches Personal geben muss. Das große Ziel ist aber nicht, dass wir ganz viel Freizeit generieren, weil wir so viele belastete Schichten haben.
Das große Ziel ist, mehr Personal zu bekommen, damit man seinen Beruf wieder so ausüben kann, wie man es gelernt hat. Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Papieren. Ich kann niemanden zur Seite legen. Studien haben auch gezeigt: Das in den letzten Jahren ausgestiegene Fachpersonal würde zurückkommen, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Teilzeitangestellte würden wieder in Vollzeit gehen, wenn sie wüssten, dass die Schichten nicht mehr in dieser belastenden Form ablaufen würden. Wir möchten, dass diese Menschen zurückkommen in ihre Berufe und in unser Krankenhaus.
Wärt ihr denn auch bereit für eure Forderungen in den Streik zu gehen?
Die Motivation ist da. Allerdings ist Streik immer ein Druckmittel, das als letzter Ausweg gilt. Wir haben unseren Arbeitgeber erstmal zu Verhandlungen aufgefordert. Leider haben die nicht reagiert. Wir sind dann mit einer Petition für Verhandlungen unter den Kolleg:innen gestartet. 84% von uns haben unterschrieben. Für die Übergabe der Petition haben wir unsere Geschäftsführung zu einem Termin aufgefordert, zu dem sie nicht erschienen sind. Uns ist nichts anderes übrig geblieben, als in einer Mittagspause unser sehr großes Plakat mit den vielen, vielen Unterschriften in die Räume der Geschäftsführung zu tragen. Das hätte so nicht laufen müssen! Ich bin der Meinung, da fängt Wertschätzung an! Das hat die Leute sehr wütend gemacht.
Im Anschluss an die Petition ist die Geschäftsführung in die Teams gegangen und hat gesagt, dass sie ihr eigenes Ding machen werden. Sie meinten: ,,Sagt uns, was ihr braucht und dann kriegt ihr das.“ Nur zu mehr Personal meinten sie: ,,Nein, das ist nicht konstruktiv.“ Die Geschäftsführung hat jetzt quasi ein Angebot vorgelegt, von dem sie sagt, dass das angeblich besser sei als der Tarifvertrag. Aber dieses Angebot, ist sehr eingeschränkt: Es ist nur für die Leute, die in der Pflege arbeiten und nicht für ver.di Mitglieder. Das ist einfach falsch, die Belegschaft zu spalten, indem man Berufsgruppen unterschiedlich wertschätzt. Und genauso schlecht haben es natürlich auch die Mitarbeiter:innen bei uns aufgenommen.
„Was am Ende verdient wird, sollte dann wieder in die Krankenhäuser zurückfließen. Das ist Gemeinwohl.“
Was ist der Unterschied eurer Situation als privater Träger zu kommunalen Trägern?
Sana ist ein kommerzieller Konzern. Erstmal funktioniert zwar jede Klinik gleich, denn die Erlöse aus Behandlungen sind überall gleich hoch festgelegt. Aber der Gewinn, der nachher gemacht wird, wird anders verwaltet und verteilt. Das ist der Unterschied. Ich denke, alle Krankenhäuser müssten eigentlich so finanziert werden, dass sie in der Lage wären, alles, was notwendig ist auch zu bestreiten. Das, was am Ende verdient wird, sollte dann wieder in die Krankenhäuser zurückfließen. Das ist Gemeinwohl. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, alle Menschen gleichermaßen mit der bestmöglichen Medizin, Pflege und Therapie zu versorgen. Ich denke, mit Gesundheit Geld zu verdienen, ist schon der Fehler. Es ist ein Systemfehler und am Ende leidet alles unter der Kommerzialisierung.
„Ich denke, mit Gesundheit Geld zu verdienen, ist schon der Fehler.“
Wenn du an die Zukunft denkst: Wie würdest du gerne arbeiten?
Wenn ich es mir aussuchen dürfte, dann wäre erstmal der Patient:innen-Personalschlüssel so, dass ich mich wirklich zu 100% auf meine Patient:innen konzentrieren kann,. Ich habe kranke Früh- oder Neugeborene und die Eltern sind unglaublich gestresst. Manchmal gibt es einfach Situationen, bei denen ich schon zwei Kinder habe, die sind auf Atemhilfe angewiesen. Da sind Mütter dabei unter Extremsituationen. Dann kriege ich ein akut lebensbedrohtes Kind aus dem Kreißsaal und muss mich auf diesen Zugang konzentrieren. In der Zwischenzeit ist aber niemand da, der für die anderen Kinder sorgen kann, weil die anderen zwei Mitarbeiter:innen vielleicht noch sechs Kinder zu betreuen haben und alle haben Hunger. Wenn dann irgendwann das Essen kommt, dann erbrechen sich die Kinder, weil sie total empfindlich und sensibel sind, was Stress angeht. Jeder, der selbst ein Kind bekommen hat weiß, wie anstrengend ein gesundes Neugeborenes ist und wie oft das die Eltern an den Rand ihrer Kräfte bringt. Und jetzt erwartet man von Pflegekräften, dass sie mehrere kranke Neu- oder Frühgeborene und ihre Eltern betreuen. Das geht nicht. Solche Situationen möchte ich einfach nicht mehr erleben. Ich möchte nicht mehr priorisieren oder mich entscheiden müssen, welcher Patient wichtiger ist. Es ist das Recht jedes einzelnen Menschen, so klein oder so alt er auch sein mag, im Krankenhaus vollwertig und empathisch betreut zu werden.
Seid ihr denn mit den anderen Krankenhausbewegungen vernetzt?
Wir sind schon eine ganze Weile vernetzt. Wir haben die Berliner Krankenhausbewegung immer sehr aktiv begleitet und unterstützt. Wir haben auch die Streikenden im Streiklokal besucht. Ich finde das total wichtig, dass man spürt, dass man nicht allein ist. Gerade weil wir uns immer ein kleines bisschen außerhalb fühlen, weil wir nicht öffentlicher Dienst sind. Man denkt dann oft: ,,Nein, wir haben nicht das Recht auf diese Forderung, weil wir sind ja privat.“ Und das ist falsch!
„Ich möchte nicht mehr priorisieren oder mich entscheiden müssen, welcher Patient wichtiger ist.“
Keiner der Angestellten im Sana Klinikum kann etwas dafür, dass dieses Krankenhaus ein privates Krankenhaus ist. Das wurde irgendwann vor vielen, vielen Jahren verbockt, als man der Meinung war, man müsste jetzt alles privatisieren. Es kam ja quasi alles unter den Hammer. Ob es das Wasser war, ob es die Energie war, ob es das Gas war: Alles. Ich sehe immer nur diese Entwicklung, dass zusammengestrichen und zusammengekürzt wird und sich nur noch darauf konzentriert wird, was Geld gibt. Die Krankenhausbewegung ist daher dringend notwendig, egal wo.
Wie steht es um die Zusammenarbeit mit anderen Streikbewegungen, die gerade aktiv sind?
Wir sind über verschiedene Kanäle verbunden. Es gibt immer verschiedene kleine Delegationen oder schriftliche Solidaritätsbekundungen. Ich denke aber, dass das noch in den Kinderschuhen steckt. Denn gerade wird oft darüber gelacht, wenn zum Beispiel ein S-Bahn Fahrer streiken muss. Da haben die Leute aber keine Ahnung, wie die Arbeitsbedingungen für die Lokführer, für die S-Bahn Fahrer und für das Personal bei der Deutschen Bahn aussehen. Da muss was getan werden.
Unser Café ist ja in eurer Nachbarschaft. Was wünscht ihr euch in Bezug auf nachbarschaftliche Unterstützung?
Je größer und je breiter die Unterstützung ist, desto besser. Wir waren schon mal in einer Streikauseinandersetzung und ich weiß, wie kräftezehrend das ist. Das letzte mal sind Menschen vorbeigekommen, auch Mütter mit Kinderwagen, die gesagt haben: ,,Wir finden das gut, dass ihr streikt! Es wird alles teurer und wir sind auf eurer Seite.“ Es waren auch zwei ältere Damen da, die lange auf ihre Behandlung warten mussten und die machten trotzdem ihr Portemonnaie auf und holten 10€ für unsere Streikkasse raus. „Gerade wir Frauen müssen doch zusammenhalten.“ Wir haben auch einen Brief bekommen von einer Mietergemeinschaft in Lichtenberg, die sehr ausführlich geschrieben haben, warum sie uns unterstützt haben und warum sie unseren Kampf wichtig finden. Manchmal kam auch einfach nur jemand vorbei mit einem Kuchen. Dann haben sich alle gefreut. Das sind kleine Gesten, die aber wichtig sind für uns.