Auf der Grundlage einer Beschreibung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der BRD, sowie den konkreten Erfahrungen der vergangenen Jahre im Rahmen von revolutionärer Nachbarschaftsarbeit, wollen wir darstellen, wie wir uns diese Methode revolutionären Klassenkampfs vorstellen und sie (weiter-)entwickeln wollen. Wir greifen dabei nicht nur auf eigene Erkenntnisse im Rahmen des Aufbaus der „Kiezkommunen“ zurück, sondern auch auf internationale Beispiele – etwa in Kurdistan oder Lateinamerika.

Zunächst wollen wir, durch einen kurzen Blick in die jüngere Geschichte die aktuelle gesellschaftliche Situation erfassen, in der wir uns befinden. Nach der durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Zerstörung musste die Infrastruktur großer Teile der Welt wiederaufgebaut werden. Dieser Wiederaufbau ging weit über die Wiederherstellung des vor dem Krieg Dagewesenen hinaus. Das Kapital erschloss sich zahlreiche neue Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Vom massenhaften Siegeszug des Automobils, über die industrielle Herstellung von Nahrungsmitteln, bis hin zu einer immensen Ausweitung der Nutzungsbereiche elektronischer Geräte, schuf das sogenannte „Wirtschaftswunder“ einerseits durch eine hohe Anzahl von regulären Vollzeitarbeitsplätzen, andererseits durch massentaugliche – das heißt: billigere – Produktion von Waren einen bis dahin nie da gewesenen Lebensstandard in der BRD.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Deutschland in verschiedene Besatzungszonen unterteilt. Ostdeutschland wurde an die Sowjetunion angebunden, der Rest an die Westalliierten. Im Rahmen des sogenannten „Marshall-Plans“ wurde die BRD als ein antikommunistisches Projekt unter Federführung der USA aufgebaut. In der Bundesrepublik vollzog sich der Aufbau des neuen „Sozialstaats“ unter der Mitarbeit führender Köpfe des deutschen Faschismus sowie der „sozialpartnerschaftlichen“ Gewerkschaftsbürokratie.

Die BRD sollte wirtschaftlich und ideologisch ein starker Gegenspieler zur Sowjetunion werden, vor allem in der Konkurrenz um den sogenannten „materiellen Wohlstand“, der wohlgemerkt nur für deutsche Arbeiter:innen existierte – und auch da nur relativ -, im Gegensatz zu einer großen Zahl von migrantischen und überausgebeuteten Arbeitskräften, den sogenannten Gastarbeiter:innen.

Nicht nur die Trümmer des Krieges wichen dem „Wirtschaftswunder“. Auch die großen Enttäuschungen, die die beiden Weltkriege mit sich brachten, schienen zugunsten eines neuen sich in Teilen der Bevölkerung verbreitenden Optimismus und Fortschrittsglaubens dahinzuschwinden. Die weltweiten Krisen aber wiederholten sich, die imperialistischen Kriege und die Ausbeutung der Kolonien ging weiter, ebenso der Widerstand gegen Kapitalismus und Imperialismus.

Spätestens mit der Ölkrise 1973 wurde von den Herrschenden global eine neue Strategie erprobt. Um die Wirtschaft diverser Schwellenländer zu liberalisieren wurden gezielt Militärputsche initiiert oder mitunterstützt: in Chile 1973, in Argentinien 1976 und in der Türkei 1980. Nachdem sich die neoliberalen Experimente als großer Erfolg für die herrschende Klasse herausstellten, wurde die vermeintliche „Sozialpartnerschaft“ ab den 1980er Jahren auch in den kapitalistischen Zentren von oben aufgekündigt.

Seitdem bietet das System auch in den reichsten Teilen der Welt den Lohnabhängigen immer weniger. Hierbei muss uns allerdings stets bewusst sein, dass die „Sozialpartnerschaft“ im Westen nur durch die immer stärkere Überausbeutung der Länder des globalen Südens möglich war und ist.

Genau deshalb müssen Internationalismus, der Aufbau von Gegenmacht und Klassenkampf als Säulen der revolutionären Basisarbeit miteinander verbunden werden. Denn wir können uns in unserer Analyse der Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse nicht auf den nationalstaatlichen Rahmen beschränken. Unsere Ansätze und lokalen Kämpfe sind einerseits Teil eines weltweiten Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung, andererseits gilt es der Gefahr des Sozialchauvinismus vorzubeugen. Ohne weltweite Gegenmacht wird keine revolutionäre Bewegung erfolgreich sein können.

Durch „Rationalisierungen“ und die Verlagerung der Produktion in andere Teile der Welt, wo die Arbeitskraft wesentlich billiger und die Arbeitsbedingungen wesentlich schlechter sind, sowie die Einführung von Hartz IV und weiteren Deregulierungen baute das deutsche Kapital einen gigantischen Niedriglohnsektor in der BRD auf.

Auch darüber hinaus intensivierte sich der Klassenkampf von oben. Die sogenannte „Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse“ ab den späten 1990er bzw. Anfang der 2000er Jahre – also das Schaffen von Niedriglohnjobs und dem Abbau von Arbeiter:innenrechten – und die Einführung von Hartz-IV markierten in Deutschland wesentliche Meilensteine auf dem Wege zur Verfestigung einer neuen Ordnung der Ausbeutung.

In dieser wuchs einerseits die Kluft zwischen arm und reich unabhängig davon, ob es der Wirtschaft gerade “gut” oder “schlecht” ging. Andererseits entwickelte sich immer stärker die Erzählung der Herrschenden von der Individualisierung von Armut, also, dass Armut heute nicht mehr logische Konsequenz und Existenzbedingung des Kapitalismus, sondern persönliches Versagen sei. Wer sich nur richtig bemühe, der könne es, so die Mär, auch heute noch weit bringen. Das alte Märchen “Vom Tellerwäscher zum Millionär” wurde wieder einmal neu aufgelegt.

Aber nicht nur in Umfragen oder sinkender Wahlbeteiligung, auch in der alltäglichen politischen Arbeit ist es zu spüren: Die Menschen werden wütender und desillusionierter. Und es gibt gute Gründe für diese fortschreitende Abkehr vom System und seinen politischen wie ökonomischen Managern. Die Einkommensungleichheit zwischen uns hier unten und den kapitalistischen Profiteuren da oben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verschärft. Mehr als 1,1 Millionen Menschen müssen in Deutschland aufstocken, obwohl sie arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Mehr als vier Millionen Menschen sind von Zwangsarbeit, Degradierung und Sanktionen des Systems Hartz-IV betroffen. Vier Millionen Kinder wachsen in Armut auf.

Prekäre Arbeitsverhältnisse, soziale Isolation und Vereinsamung, die andauernde Verteuerung von Wohnraum in Großstädten – und am Ende ein Lebensabend in Altersarmut. Für Geflüchtete, Migrant:innen und Frauen stellt sich dieser Alltag durch doppelte und dreifache Unterdrückung noch dramatischer dar.

Das ist die Realität, mit der viele in diesem Land leben müssen. Dass die etablierten Parteien, die noch jedes wohlklingende Wahlversprechen gebrochen haben, an Ansehen verlieren, ist genauso verständlich wie die Skepsis gegen die selbsternannten Qualitätsmedien, die sich im Besitz einer Handvoll großer Medienkonzerne oder des Staates befinden und ihre Lügen verbreiten.

Diese Vertrauenskrise birgt eine große Chance für uns. Denn zunächst ist die Skepsis gegen “die da Oben” nicht nur eine richtige Einschätzung der Lage, sondern ein Anfang von Klassenbewusstsein und eine Möglichkeit über den beschränkten Horizont der bürgerlichen Gesellschaft hinaus zu blicken.

Revolutionäre Bewegungen und die Gesellschaft

Revolutionäre Bewegungen in der BRD scheiterten nach dem deutschen Faschismus an der Aufgabe, eine angemessene Antwort auf diese neue Situation zu geben, also dem Klassenkampf von oben einen von unten entgegenzusetzen. Einen Klassenkampf, der über Abwehrkämpfe hinausgeht und sich gegen das herrschende wirtschaftliche und politische System richtet. Dennoch können wir als internationalistische Revolutionär:innen in der BRD auf einen breiten Erfahrungs- und Wissensschatz unserer Bewegungen und Kämpfe zurückgreifen.

Ein großer Teil der Linken in der BRD hat sich von der eigenen Bevölkerung weit entfernt. Der Rückzug in abgehobene Debatten und moralische Selbstüberhöhung ging mit der Isolation von der Gesellschaft einher. Oft nahm man alle außerhalb der eigenen “Szene” als unveränderlich schlecht wahr, als fremd, nicht als die eigene Klasse – nicht als Menschen, die wir ansprechen und mit denen wir gemeinsam kämpfen wollen. Die heutige Ausgangslage hat für uns mehrere Gründe. Ein zentraler ist für uns die schleichende Aufgabe eines klaren Klassenstandpunkts und einer kämpferischen Klassenpolitik von unten innerhalb der BRD. Einem klaren Klassenstandpunkt geht eine Klassenanalyse voraus. Eine Analyse der Verhältnisse in denen wir uns (global) bewegen. Doch genau das brauchen wir. Einerseits, um zu bestimmen, wen wir ansprechen, organisieren und mit wem wir gemeinsam kämpfen wollen, andererseits um überhaupt in der Lage zu sein, eine richtige politische Strategie zu entwickeln.

Aus unserer eigenen Schwäche heraus erwuchs in den vergangenen Jahren ein immer stärkeres Ohnmachtsgefühl. Wir glaubten nicht mehr, dass die Gesellschaft im Ganzen sich grundlegend verändern könne. Dass auch wir diese Gesellschaft zum Besseren mit verändern könnten, glaubten wir auch nicht. Der Rückzug – politisch wie individuell – in vermeintliche Schutzräume oder gar in die Ränge der liberalen Eliten, unterstützt den Erhalt des Status Quo.

Wir wollen mit dieser Wahrnehmung brechen. Sie entspricht weder der Realität, noch ist sie links. Wir sind Teil der Unterdrückten dieses Landes und als solche wollen wir Politik machen. Das allerdings erfordert die Rückgewinnung von Gesellschaftlichkeit und eine damit einhergehende umfassende revolutionäre Praxis, die auch fähig ist sich mit den Widersprüchen innerhalb der Klasse auseinanderzusetzen.

Die als Arbeiter:innen, Erwerbslose, Jugendliche, Frauen oder Geflüchtete schikanierten Menschen dieses Landes sind unsere Brüder und Schwestern. Wir müssen in der Lage sein, die Probleme, die Menschen umtreiben, aufzugreifen, zu politisieren und zu organisieren. Und wir müssen gemeinsam mit ihnen Antworten finden, die im Hier und Jetzt bereits Ansätze von Gegenmacht aufbauen und stärken.

Gegenmacht bedeutet für uns: Zum einen die Fähigkeit, Dinge, die uns nicht passen, verhindern zu können. Wenn ein Nazi-Aufmarsch nicht durch den Kiez läuft, wenn ein Hotelbau nicht umgesetzt werden kann, wenn ein Betrieb eine Kündigung zurücknehmen muss, das alles sind Ansätze konkreter Gegenmacht.

Zum anderen besteht Gegenmacht aber nicht nur im Verhindern, sondern auch im Aufbauen und Entwickeln. Wenn wir unser eigenes Zusammenleben organisieren können, wenn im Kiez nicht die Bullen, sondern die Stadtteilkomitees gerufen werden, um Konflikte zu regeln; wenn wir unsere Reproduktionsarbeit kollektiv gewährleisten können, ist das Gegenmacht. Damit Gegenmacht entsteht, ist auch die Entwicklung und Vermittlung eines revolutionären Bewusstseins nötig, ein Bewusstsein, welches sich in der Gesellschaft verbreitet und verankert. Eine Idee wird dann zur wirklichen Kraft, wenn sie viele Leute ergreift.

Gegenmacht entsteht durch den Aufbau von Kampforganen, die zugleich Keimformen zukünftiger kollektiver Selbstorganisierung der Gesellschaft sind. Wo auch immer wir solche Organe aufbauen – ob in Schulen, Stadtteilen, an Universitäten oder in Betrieben -, wir setzen dadurch einen neuen Punkt in einem Netz, das wir letztlich global spannen müssen, um Handlungsfähigkeit zu schaffen. All das bedeutet, das Ziel einer Revolution in den Alltagskämpfen tatsächlich zu vermitteln.

Hingegen in Teilbereichskämpfen aufzugehen und die Revolution als Ziel der politischen Arbeit aus den Augen zu verlieren, endet im Reformismus. Wir wollen nicht Ärztin am Krankenbett des Kapitalismus sein. Umgekehrt aber: Permanent von Revolution zu reden, ohne in realen Kämpfen verankert zu sein, bleibt eine leere Utopie ohne Kraft.

Wir brauchen auf lange Sicht eine gemeinsame ideologische Linie, eine langfristige Strategie und eine aus ihr folgende, flexible Taktik. Halten wir fest:

• Die außerparlamentarische Linke hat die Beziehung zur Bevölkerung und zur eigenen proletarischen Klasse in Deutschland weitestgehend verloren und spielt deshalb keine relevante Rolle in der politischen Landschaft der BRD. Um diesem Mangel entgegenzuarbeiten, müssen wir reale Gegenmacht aufbauen, die durch eine kontinuierliche Arbeit an und mit der Basis hergestellt wird.

• Basisarbeit und lokale Verankerung schaffen wir, wenn unser Handeln und unsere Politik einen realen und konkreten Nutzen für und Auswirkung auf die Bevölkerung hat.

• Die Zersplitterung der radikalen Linken in der BRD hat ihre Ursache auch im Fehlen eines gemeinsamen erfolgversprechenden Projekts. Diese Zersplitterung muss einerseits in einer gemeinsamen Praxis und gemeinsamen inhaltlichen Debatten, andererseits durch den Aufbau einer handlungsfähigen Organisation entgegengewirkt werden.

Stadtteilkomitees als kleinste territoriale Einheiten

Die Grundidee unserer Nachbarschaftsarbeit ist die Wiederbelebung des Konzepts der Räteorganisierung aus der Tradition der Arbeiterbewegung. Räte waren in diesem Kontext Kampforgane der Klasse gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus. Und zugleich Keimzellen einer neuen Form von Demokratie und Selbstverwaltung, in deren Rahmen die Menschen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen konnten. Dieses Konzept der Selbstorganisierung hatte und hat ein klares Ziel: Die Schaffung des Sozialismus.

Unser Verständnis von Gegenmacht und der damit verbundenen politischen Praxis hat nichts damit zu tun, sich das Hier und Jetzt bequemer einzurichten. Es geht nicht darum, sich Inseln der Freiheit zu schaffen und sich damit zufrieden zu geben. Wir schlagen ein Verständnis von Sozialismus vor, welches es schafft das Hier-und-jetzt mit konkreter Utopie zu verbinden. So schrieb die Revolutionärin Sakine Cansız: „Wir haben uns dem Sozialismus nie utopisch angenähert. Er war für uns nie irgendetwas ganz weit Entferntes. Wir haben eher geschaut, wie sich Freiheit, Gleichheit und Sozialismus verwirklichen lassen. Wie können wir anfangen, diese Prinzipien in unserem Leben umzusetzen? Wir haben immer Hoffnungen und Utopien gehabt, die wir nicht auf zukünftige Generationen projizieren wollten. Stattdessen haben wir angefangen, unsere Hoffnungen und Utopien im Hier und Jetzt umzusetzen.“

Sowohl historisch als auch in der Gegenwart gibt es etliche Beispiele revolutionärer Bewegungen, die so oder so ähnlich organisiert waren: Von den Arbeiter-, Soldaten- und Frauenräten in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland und den Sowjets im revolutionären Russland zur selben Zeit, über die „Widerstandskomitees“ (direnis komiteleri) der türkischen revolutionären Organisation Devrimci Yol, die Stadtteilkomitees der italienischen „Lotta continua“ in den 1970ern bis zum heutigen Aufbau einer neuen Gesellschaft im mexikanischen Chiapas oder im nordsyrischen Rojava. Aus all diesen Beispielen – ihren Niederlagen wie Erfolgen – können wir lernen, keines können wir kopieren.

Wenn wir davon sprechen, dass wir »Stadtteilkomitees« und Selbstverwaltung aufbauen wollen, dann bedeutet das, dass wir in kleinen territorialen Einheiten – Nachbarschaften, perspektivisch aber auch in Betrieben, Universitäten, Schulen – Strukturen aufbauen, die geografisch begrenzt, aber thematisch universell sind und der Bevölkerung ihre Selbstverwaltung ermöglichen.

Für uns sind dabei drei Phasen des Aufbaus und der Verstetigung elementar. Diese dienen in der Stadtteilarbeit aber eher als Orientierung, nicht als mechanischer Übergang oder dogmatische Handlungsanleitung.

Phase I: Aufbau der Stadtteilkomitees

Auf diesem Weg ist für uns der erste Schritt der Aufbau von Stadtteilkomitees. Diese beginnen sich in die lokalen und alltäglichen Lebensrealitäten der Klasse einzubringen. In soziale Fragen, Mieten-, Arbeitskämpfe, antipatriarchale Kämpfe, den Aufbau sozialer Treffpunkte, Jugendarbeit etc. Zu diesem Zweck sollen sich zu Beginn in den Komitees bei Bedarf und entsprechender Größe sogenannte “Kommissionen” bilden, die für bestimmte Bereiche des Alltagslebens zuständig sind.

In diesen Kommissionen sollen Angebote geschaffen werden, die verschiedene Formen der Partizipation der Nachbarschaft ermöglichen. Deutlicher: In den lokalen Arbeiten muss es möglich sein, sich langfristig und verbindlich zu organisieren (als Mitglied des Stadtteilkomitees) und andererseits auch nur einmal im Monat für eine Stunde auszuhelfen, eine Aktion mitzumachen, und sich trotzdem als Teil eines gemeinsamen Projekts zu verstehen.

Die Aufgabe der Stadtteilkomitees ist es als Initiativkraft darauf hinzuarbeiten die organisatorischen, kulturellen und politischen Weichen zu stellen, um in einer revolutionären Situation handlungsfähig zu sein. Diese „Vorbereitungs-“ Arbeit ist das was ein Komitee an seinem jeweiligen Ort primär tut: Ansätze politischer Gegenmacht aufbauen, neue soziale Beziehungen schaffen, gesellschaftliche Verankerung aufbauen und konkrete Alternativen der Organisierung des Lebens aufzeigen, die von der Klasse aufgegriffen werden können. Das heißt auch zu lernen gemeinsam mit der eigenen Klasse zu kämpfen.

Phase II: Organisierung der Nachbarschaft und Verankerung der eigenen Politik

Nachdem sich ein erster Kreis im Rahmen des Komiteeaufbaus gefunden hat, geht es in der mittelfristigen Perspektive nun darum, diesen auszubauen. Das heißt zum einen, den Aufbau und die Verankerung der eigenen Präsenz im Stadtteil voranzutreiben und Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung zu erlangen, zum anderen Keimformen der Selbstorganisierung der Nachbarschaft zu stärken.

Durch kontinuierliche Präsenz, dem vorantreiben revolutionärer Kultur im Stadtteil und der Organisierung weiterer Menschen sollen neue Umfelder geschaffen und weitere Menschen in die lokale Struktur organisiert und dazu ermutigt werden ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen. In der mittelfristigen Perspektive geht es darum, Keimformen von Gegenmacht zu schaffen, die sich perspektivisch vermassen können.

Dies kann sich je nach lokaler Ausgangssituation in Form und zeitlicher Dauer stark unterscheiden, denn wie die Organe der Gegenmacht aufgebaut werden, hängt maßgeblich von der konkreten Situation ab. In den jeweiligen Stadtteilkomitees sollen also bestenfalls diejenigen organisiert sein, die in den Stadtteilen leben und/oder arbeiten. Denn sie kennen die sozialen Dynamiken, haben ein soziales Umfeld im Stadtteil und wissen bestenfalls um die Probleme der Nachbarschaft. Eine organische Verbindung mit dem Stadtteil ist die Grundlage der politischen Aufbauarbeit. Kurz- und mittelfristiges Ziel ist es also, durch die Schaffung neuer sozialer Beziehungen und Strukturen von Selbstorganisierung dem Staat Schritt für Schritt Terrain abzutrotzen und in diesem Prozess jene gesellschaftlichen Kräfte frei zu setzen, die eine Selbstverwaltung der Klasse in der Nachbarschaft ermöglichen werden.

Phase III: Selbstverwaltung der Nachbarschaft und Schaffung kommunaler Selbstverwaltung

Phase I und Phase II zielen auf den kurz- bis mittelfristigen Aufbau der Stadtteilorganisierung ab. Die dritte Phase unterscheidet sich jedoch qualitativ von ihren Vorgängern. Sie ist die Bezeichnung für die Prozesse und Möglichkeiten, die sich im Verlauf einer revolutionären Situation eröffnen. In dieser Phase gesellschaftlicher Transformation und Umbruchs kann sich das spontane Element mit der – in Keimformen existierenden – Selbstorganisierung verbinden und weite Teile der Klasse ergreifen. Damit erst kann sich das Nachbarschaftskomitee in die “Kommune” aufheben. Die Nachbarschaft nimmt dann die eigenen Belange selbst in die Hand und eignet sich ihr eigenes Leben wieder an.

Populäre Arbeitsweise

Wenn wir auf die oben beschriebenen Perspektiven in der Nachbarschaft hinarbeiten wollen, stellen sich ganz konkrete Herausforderungen. Da die revolutionären Kräfte dieses Landes sich mehrheitlich über viele Jahre aus der Klasse zurückgezogen haben, müssen wir die Arbeit in und mit der Gesellschaft erst wieder neu erlernen.

Der erste Schritt betrifft dabei das Identifizieren der richtigen Themen: Was bewegt die Menschen vor Ort wirklich? Was sind die Alltagsprobleme und die Alltagsrealitäten? Anhand welcher Themen lässt sich die Bevölkerung organisieren? Welche Segmente der Klasse können und wollen wir erreichen? Welche sind die Themen, die sich zuspitzen lassen und revolutionäres Potential haben? Dabei geht es auch darum, sich selbst in diesen Kämpfen wiederzufinden, sich mit ihnen auf einer persönlichen Ebene zu identifizieren.

Aber nicht nur der Inhalt ist eine Herausforderung, sondern auch die Form. Wie reden wir, damit wir verstanden werden? Wie gehen wir mit Widersprüchen um? Wie präsentieren wir uns, unsere Demonstrationen und unsere Räume? Wie schreiben wir verständlich und wie organisieren wir Möglichkeiten, sich an der täglichen politischen Arbeit zu beteiligen? In den Kiezen spielt die Schaffung von sozialen Treffpunkten, die zugleich eine politische Kultur vermitteln sollen, eine große Rolle.

Das Wiedererschaffen einer revolutionären Kultur ist vielschichtig und umfasst alle Bereiche des Lebens. Der aktuell hegemonialen Kultur des Kapitalismus eine eigene entgegenzusetzen und diese zu verankern, halten wir für einen zentralen Punkt in der alltäglichen Aufbauarbeit. Dies umfasst beispielsweise das Schaffen eines Bewusstseins zu historischen Ereignissen und progressiven Kämpfen in einer Nachbarschaft, sowie allgemeine Bildung & Wissensvermittlung; das Vorleben von kommunalen Werten und Prinzipien im Alltag; das Vorleben von solidarischen Verhaltensweisen untereinander; den Aufbau offener Cafés, die zugleich Orte sind, an denen die Nachbarschaft sich mit ihren Problemen an uns wenden kann, damit wir gemeinsam Lösungen erarbeiten; Sporträume zum gemeinsamen Trainieren mit Jugendlichen und nicht zuletzt Orte zur autonomen Selbstorganisierung von Frauen und Queeren Personen.

Je nach Gebiet und Gegebenheiten variieren dabei die Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Diese Infrastruktur zu schaffen oder vorhandene Infrastruktur für politische Arbeit nutzbar zu machen, ist unserer Auffassung nach einer der ersten notwendigen Schritte für Stadtteilarbeit. Denn schon das Gestalten und mit Leben erfüllen der jeweiligen Orte bietet viele kollektive Teilnahmemöglichkeiten.

In der Praxis sind Organisation und Vorfeld getrennt, mit jeweils spezifischen Aufgaben, die einander ergänzen und bilden dennoch eine Einheit. Stadtteilkomitees sind dabei Teil, beziehungsweise angegliedert an die Organisation, aber keine Organisation für sich. Ihre Existenz hat ein bestimmtes Ziel, nämlich den Aufbau von Gegenmacht von unten in kleinen territorialen Einheiten.

Dementsprechend sind sie offene Räume mit Partizipationsmöglichkeiten für alle Menschen, die sich einbringen wollen, außer Ausbeutern und Faschisten. Das politische Klima ist und soll divers bleiben. Sich für die Interessen des Stadtteils, des Betriebs oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen einzusetzen ist das konkrete und verbindende Moment der politischen Arbeit in den Stadtteilkomitees. Gleichzeitig bedeutet diese Offenheit, dass die Stadtteilkomitees nicht der Ort sein können, für umfassende strategische Diskussionen und Analysen. Die politische Diversität der Komitees kann nur bestehen, wenn es ein verbindendes Element und eine geteilte Strategie gibt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer übergeordneten Organisation. Während ein Stadtteilkomitee in einer territorialen Einheit operiert, sollte eine Organisation in jedem Bereich der Gesellschaft operieren und die einzelnen Kampffelder in einer gemeinsamen Strategie vereinen.

Revolutionäre Arbeit im Stadtteil und darüber hinaus. Zum Verhältnis von Organisation und Basisstrukturen

Wenn wir im Alltag der Klasse und in der Nachbarschaft arbeiten, dann dürfen wir zugleich das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Letztlich ist der Gegner ein globales System und international vernetzt, die meisten Probleme, die lokal auftreten, lassen sich nicht langfristig lokal lösen. Bleiben etwa die Kämpfe gegen Miethaie oder Konzerne punktuell begrenzt, können sie nicht dauerhaft erfolgreich sein.

Zudem reicht aktuell die Politisierung der meisten Kämpfe nicht darüber hinaus, dass die jeweiligen Betroffenen ihr eigenes Problem lösen wollen, anschließend aber wieder Abstand nehmen und in ihrem Alltag verschwinden. Als Antwort auf dieses Problem muss daher der Aufbau der territorial organisierten Gegenmacht als Teil einer Gesamtstrategie mit anderen Kampffeldern der politischen Widerstandsbewegung auf überregionaler und internationaler Ebene verbunden werden. Diese Aufgabe erfüllt die revolutionäre Organisation. Die Einsicht in die Notwendigkeit der revolutionären Organisation, leitet sich aus der Analyse der politischen und ökonomischen Lage der Klasse ab. Das heißt, zu jedem Zeitpunkt sind es die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, die uns vorgeben, ob es einer revolutionären Organisation bedarf und wenn ja, was ihre Aufgaben sind.

Wir gehen von folgender Feststellung aus: Unter den aktuell bestehenden Umständen in der BRD sind die Unterdrückten im Allgemeinen und die Klasse im Besonderen meist nicht in der Lage, sich ihre eigenen politischen Organe zu schaffen, eine „spontane Selbstorganisierung der Massen“ ist so gut wie nie gegeben.

Von dieser Einschätzung ausgehend bedarf es bewusster politischer Elemente, die ihre Ideen systematisch und planvoll in jenen Teil der Gesellschaft – die Klasse – hineintragen, aus der sie stammen und der sie sich verschrieben haben. Diese Analyse fußt auf den historischen Erfahrungen vorhergehender politischer Bewegungen.

Wenn wir von der aktuellen politischen Lage in den imperialistischen Metropolen ausgehen, sehen wir, dass es augenscheinlich keine revolutionäre Situation gibt. Stattdessen gibt es vielmehr einen zermürbenden gesellschaftlichen „Stellungskrieg“ um Bedingungen und Möglichkeiten einer revolutionären Umwälzung. Diese umkämpften Bedingungen, die explizit die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte betreffen, implizieren die Frage nach politischer Bewusstseinslage und Organisationsgrad der Klasse. In diesem Kampf um Hegemonie befindet sich die revolutionäre Linke in der BRD aktuell in der Defensive.

Um aus dieser Defensive herauszukommen, halten wir als Organisation folgende Punkte für zentral:

• Die Schaffung von revolutionären kommunistischen Kaderorganisationen, die befähigt sind Desorganisiertheit, Beliebigkeit und politische Diffusität zu überwinden und sich langfristig mit starker Verbindlichkeit politisch zu betätigen. Diese Organisationen müssen ihre Mitglieder ideologisch und in der praktischen Arbeit zu professionellen Revolutionären ausbilden, die in unterschiedlichen Bereichen eigenständig arbeiten können.

• Das Kämpfen mit und in sozialen und politischen Widerstandsbewegungen ist ein Motor gesellschaftlicher Transformation. Hier sollten zum einen bestehende politische Kräfte gestärkt werden und zum anderen neue Politisierungen stattfinden. Mit diesen Kämpfen können reformistische Verbesserungen der Lage der Klasse erkämpft, Druck auf den Staat ausgeübt und bestehende Errungenschaften verteidigt werden.

• Aufbau und Festigung von gesellschaftlicher Verankerung und Gegenmacht. Das Schaffen von festen und verbindlichen Organisationsstrukturen, sowie der Kampf auf der Straße sind zwei zentrale Elemente. Das dritte zentrale Element der politischen Arbeit ist die langfristige und kleinteilige Grundlagenarbeit in den territorialen Einheiten wie Nachbarschaft, Betrieb, Schule etc. Diese Arbeit nennen wir Organisierung und Aufbau proletarischer Gegenmacht. Von ihrem Erfolg wird die Schaffung der subjektiven Bedingungen einer Umwälzung abhängig sein.

Diese drei Elemente können nur miteinander, nicht getrennt voneinander, aufgebaut, entwickelt und geführt werden. Das eine ist ohne das andere sinnlos. Nehmen wir das Erste ohne Zwei und Drei, landen wir potenziell in einem sektenartigen und von der gesellschaftlichen Wirklichkeit entfremdeten Zirkel aus Pseudointellektuellen. Nehmen wir Zwei, aber ohne Eins und Drei, enden wir potenziell im Reformismus und kleinteiliger Aufreiberei und werden bestenfalls außerparlamentarische Helfer reformistischer Parteien. Nehmen wir nur Drei, aber ohne Eins und Zwei sind wir auch nur eine weitere Nachbarschaftsinitiative von tausenden, welche zwar lokal eine gewisse Wirksamkeit entfalten, aber keine gesellschaftliche Vision entwickeln kann und an den eigenen Schranken scheitern wird.

Wir halten es für wichtig, die drei angeführten Elemente als eine in sich differenzierte Einheit zu begreifen, die organisatorisch und organisch verbunden und zugleich voneinander unterschiedene Sphären sind . Den Anspruch zu haben, dass alle Fragen an einem „Ort“ ausgehandelt werden, wird zum einen der Lebensrealität vieler Menschen, die sich einbringen wollen, nicht gerecht und führt darüber hinaus zu Diffusität und Chaos in Fragen von Arbeitsteilung, Strategie und Taktik.